Mira

Mira: Nach sechs Wochen in Bolivien

Liebe Freunde, Familie und Unterstützer,
Seit etwa sechs Wochen bin ich jetzt schon in Bolivien und habe die Zeit in einer unglaublichen Intensität erlebt. Ich will versuchen, meine Erlebnisse etwas zu strukturieren, was mir nicht sehr leicht fällt.

Von einer Welt in die Andere
Um ganz von vorne anzufangen, beginne ich mit der Reise. Die Momente des Abschieds, vor denen ich so Angst hatte, sind schließlich auch nur Momente, und zu realisieren, dass man sich ein Jahr nicht mehr sehen wird, ist ohnehin kaum möglich. Genau wie das Verabschieden kommt mir auch der Flug surreal vor; wie ist es möglich sich vorzustellen in 30 Stunden eine Distanz von über 10.000 km zu überwinden und plötzlich auf der anderen Erdhalbkugel zu sein, wo der Mond schief am Himmel hängt und die Jahreszeiten andersherum sind? In Mitten dieser Flughafen-Parallelwelt, beim Umstieg in Madrid, kommt uns plötzlich Johannes, der Referent vom Volute-Seminar entgegen, der unterwegs nach Cochabamba ist und zufällig den selben Flug hat. So können wir zusammen in Madrid umsteigen und die 10 Stunden Wartezeit in Santa Cruz überbrücken. Dieser Flughafen ist zugleich auch der erste Eindruck, den wir vom Land bekommen. Auch wenn der durch die gleiche Sterilität und Maschinerie gekennzeichnet ist, die ich von jedem anderen Flughafen kenne, gibt es Empanadas un Salteñas in den Geschäften, und auf dem Parkplatz entdecken wir einen kleinen Vogel mit knallrotem Kopf und einer Frisur wie ein Kakadu. Mittags steigen wir dann endlich in die kleine Maschine nach Sucre und landen eine Stunde später am Flughafen, wo uns Roby und Gabi, die Kinder von Roberto/“Tata“, dem Chef der Musikgruppe Los Masis in deren Centro Cultural Leo arbeiten wird, abholen. Nach einem kurzen Hallo-sagen im Centro werden wir zum Hostel gebracht, wo wir uns auf unserem Zimmer ausruhen. Abends kehren wir zum Centro zurück, wo uns die Q´arapanzas, die besten Schüler des Centros, mit einem Vorspielen auf der Zampoña (andine Flöte/„Panflöte“) begrüßen. Anschließend werden wir noch zu Pizza eingeladen und als mir um 05:00 morgens nach deutscher Zeit die Augen zufallen, kehre ich zurück ins Hostel und falle ins Bett.

Eindrücke von Sucre
Am nächsten Tag gehen wir um 08:00 zurück zum Centro, um wie jeden Samstag zusammen mit den Kindern zu putzen. Anschließend treffen wir uns mit einer unserer Spanisch-Lehrerinnen vom ICBA (Instituto Cultural Boliviano Alemán) an der Plaza Central, von wo aus wir in das Restaurant Clasicos gehen, in dem wir jeden Tag bolivianisch zu Mittag essen können. Auch den Mercado Central lernen wir gleich am ersten Tag kennen (wenn auch nur einen kleinen Teil, wie wir später feststellen). – Riesige Stände mit Obst, Gemüse, Eiern, Käse, Fleisch (-darunter ganze Kuhköpfe), Drogerieartikeln, Backwahren, Brot, Elektronik, Kräutern, einfach allem. Abends ist die Entrada (=Umzug) der Studenten und wir sehen viele verschiedene Tanzgruppen.

In den folgenden drei Wochen laufe ich viel durch Sucre, manchmal ohne Ziel, um die Stadt, mit den verschiedenen Menschen, den kleinen Läden, der wunderschön gepflegten Plaza Central und den weißen Kolonialbauten, die in Kombination mit den außen verlegten Stromkabeln eine unerklärliche Ästhetik besitzen, anzusehen. Vor allem abends haben viele Bars und Restaurants (auch einige vegetarische!!) geöffnet, außerdem ist Sucre bekannt für seine guten Schokoladenläden. Auf der erleuchteten Plaza sitzen noch spät abends Leute und unterhalten sich. Neben all dieser Schönheit läuft man gleichzeitig auch nachts noch an Kindern vorbei, die auf den Straßen sitzen, Kreidebilder malen und um Geld bitten. Mit meiner Sprachlehrerin besuche ich auch den riesigen Friedhof Sucres. Sie zeigt mir verschiedene Denkmäler, wie das zu den Protesten 2007 um den Regierungssitz. Auch gibt es einen jüdischen Friedhof auf dem Menschen begraben sind, die vor dem Nationalsozialismus in Deutschland fliehen mussten. Im Gegenzug muss ich ihr alles über die Drei Einigungskriege und die beiden Weltkriege erzählen, was auf Spanisch ziemlich anstrengend ist.

Ausblick von der Recoletta, dem Aussichtspunkt

Zusammen mit Lina, einer ehemaligen Freiwilligen, die in Sucre lebt, und ihrem kleinen Sohn besuchen wir auch den Mercado Campesino (den Bauernmarkt), der noch riesiger ist als der Markt in der Stadt. Man findet wirklich alles in Plastiktüten (auch Butter und Saft auf die Hand), außerdem werden viele traditionelle Gegenstände, wie Coca und Lamaföten verkauft. Anschließend gehen wir in den
Parque Bolívar, durch den ein künstlich angelegter Fluss verläuft und in deren Mitte ein begehbarer Mini-Eiffelturm steht, den Eiffel selbst entworfen haben soll.

Sprachkurs
Am Montag der ersten Woche beginnt unser Sprachkurs im ICBA, jeden Tag haben wir bei drei verschiedenen Lehrern jeweils eine Doppelstunde, in den ersten zwei Wochen zu zweit, zum Schluss einzeln. Der Sprachkurs ist eine geniale Mischung aus Grammatik, Vokabeln (die im bolivianischen Spanisch teilweise komplett anders sind), Sprachgebrauch und Kultur. So reden wir zum Beispiel über Aller Heiligen und die Q´owa, auf die ich später noch zurück komme. Unsere Sprachlehrer helfen uns auch bei praktischen Sachen, wie Geld abheben und Simkarte kaufen. Dabei entstehen viele interessante Gespräche, etwa über Schönheitsideale und deren Ursachen oder den Glauben an Übernatürliches. Als ich krank werde ist sofort das ganze ICBA unterrichtet und im Zehnminutentakt kommen Sprachlehrer in unser Zimmer, um zu sehen, wie es mir geht und mir Medikamente zu empfehlen. Außerdem unternehmen wir Ausflüge durch die Stadt oder gehen alle zusammen Volleyball spielen. Auch veranstalten wir ein Apthapi (aymara= sammeln/teilen, gemeinsames Essen, bei dem jeder etwas mitbringt; siehe Foto), zu dem ich versuche Streuselbrötchen zu backen, die ohne Backpapier allerdings anbrennen.

Kulturelle Ereignisse
Durch den Kontakt zu den Masis haben wir das Glück, an vielen kulturellen Veranstaltungen teilhaben zu können. So besuchen wir gleich in der ersten Woche ein Konzert in der Casa de la Cultura, bei dem peruanische und bolivianische Folklore-Musik gespielt wird und begleiten die Q´arapanzas oft zu ihren Auftritten. Zum Beispiel spielen die Q´arapanzas in der Nähe des Bauernmarktes im Anschluss an eine Messe zu Ehren der Virgen de Guadalupe (ein Marienbildnis, das Fray Diego de Ocaña 1601 nach dem Vorbild der Virgen de Guadalupe in der Extramadura / Spanien malte und das jedes Jahr um den 08.09. herum verehrt wird). Danach treten verschiedene Tanzgruppen auf, vor allem der Zapateo, der für Sucre typisch ist und eigentlich zu Weihnachten getanzt wird, macht Stimmung (siehe z.B. youtube: „la razza-villancicos y chuntunquis de mi tierra (niño manuelito-estrella de belén)). Dazu werden Cocablätter, heiße Getränke und Reisgerichte verteilt. Roberto zeigt mir, den ersten Schluck an die Pachamama zu geben (d.h. auf den Boden zu gießen), gleichzeitig bekreuzigen wir uns vor der Virgen.

In der Kathedrale an der Plaza fand am Sonntag eine Hochzeit statt, bei der 75 Paare getraut wurden, die sich aus unterschiedlichen Gründen keine einzelne Hochzeit leisten konnten. Die Kirche ist randvoll und ich stelle mich an den Rand, da es keine freien Sitzplätze gibt. Die Frauen tragen ihre prächtigsten Polleras (traditionelle weite Röcke) und die Männer Anzug. Um mich herum hat sich eine ganze Familie mit Oma und Enkeln versammelt, die sich auf Spanisch und Quechua unterhalten. Nach der Messe versammeln sich alle vor der Kathedrale und auf der Plaza. Einerseits ist es toll, diese besondere Trauung miterleben zu können, andererseits habe ich das Gefühl sehr aufzufallen.

Am Dienstag, den 04.09. zelebrieren wir im Centro die Q´owa. Die Q´owa ist ein Ritual um die Pachamama (die Mutter Erde) aufzuwecken, die in den Wintermonaten (21.06.-21.09.) schläft. Um zum Frühlingsanfang erwachen zu können und die Pflanzen und Tiere zu schenken, braucht die Mutter Erde Nahrung, die sie in Form der Q´owa von den Menschen bekommt. Bei der Q´owa handelt es sich um verschiedene Beigaben, die meist auf einer Zeitung angerichtet werden. Dazu gehören Samen, Fett, Schneckenhäuser (damit die schlechte Energie des Neids auf dieselbe Person zurückfällt), kleine Flaschen, Lamaföten/-fleisch und verschiedene suplicos, weiße Zuckertafeln, die in ihren Motiven Wünsche der Menschen verkörpern (z.B. ein eigenes Haus, eine Arbeit, ein Auto, Glück,…). Die Q´owa kann verschiedene Formen haben, auch abhängig davon wo und mit wie vielen Leuten sie zelebriert wird. Neben der Q´owa zum Frühlingsanfang kann auch eine Q´owa zur Erntezeit im Februar stattfinden, grundsätzlich aber nur an Dienstagen und Freitagen, da diese Tage eine besondere Energie besitzen. An diesem Dienstag im Centro also bekommt jeder von uns Cocablätter, die wir mit beiden Händen empfangen. Aus den Blättern sucht sich jeder die schönsten aus (-sie sollten symmetrisch und ohne Riss sein) und ordnet jeder Person, für die er beten will, ein Blatt zu, der Rest wird gekaut. Anschließend gießt jeder ein Glas Schnaps gegen den Uhrzeigersinn auf die Q´owa und trinkt den letzten Schluck. Dann werden die ausgewählten Cocablätter in die gleiche Richtung auf die Q´owa gelegt und jeder gießt ein Glas Wein darüber. Schließlich erhält jeder einen Stein, der die Energie des Kosmos verkörpert und die Q´owa wird verbrannt. Roberto läutet eine Glocke über unseren Köpfen und spricht auf Quechua. Schließlich umarmen sich alle und geben sich einen Wunsch mit. Es ist wirklich ein besonderes Erlebnis bei dieser Zeremonie dabei sein zu dürfen, vor allem wo wir erst zwei Wochen in Bolivien sind. Natürlich ist dieses Ritual sehr neu für mich, aber die christliche Religion hat genau so Rituale, die nicht mehr oder weniger schlüssig sind als dieses.

In den drei Wochen sind wir auch viel mit den Vorbereitungen für die Entrada zu Ehren der Virgen de Guadalupe beschäftigt. Dieses Jahr ist die große Entrada in Sucre am 15. 09.; es werden hunderte Tanzgruppen mehrere Stunden durch die Stadt ziehen, vorneweg das Bildnis der Virgen, das in eine Kapelle in der Nähe der Plaza gebracht wird. Dieses Jahr tanzen wir leider keine Diablada, dafür spielen wir mit den Q´arapanzas Zampoña. Deshalb sind wir abends immer im Centro und gucken bei der Probe der Q´arapanzas zu, in der letzten Woche spielen wir mit. – Leichter gesagt als getan, da ich nur von drei Stücken die Noten habe und noch nie vorher Zampoña gespielt habe. Zum Glück kann ich am Unterricht für die neuen Kinder teilnehmen und kaum sitze ich im Innenhof und puste kläglich in meine Zampoña kommen drei Kinder angelaufen, fragen welches Stück ich übe und helfen mir (“que estás ensayando? Es faciliiiiito“).

Aymara-Architektur

Von Sucre nach El Alto
Nach einemAbschied im ICBA und von Gabi (bis spät in die Nacht) bringen mich Gabi und Leo am nächsten Morgen (nach knappen eineinhalb Stunden Schlaf) zum Flughafen, von wo aus ich nach El Alto weiterreise. Marco, mein Ansprechpartner in El Alto holt mich vom Flughafen ab und ich lerne seine Frau (auch eine ehemalige Freiwillige) und Kinder kennen. Bei seinen Eltern sind wir zum Mittagessen eingeladen, es ist eine sehr lebhafte und lustige Runde. Dass ich Vegetarierin bin stößt zwar auf große Schockierung, vor allem weil ich nicht einmal Hühnchen, Fisch oder Trockenfleisch esse, aber zum Glück wird das Thema mit viel Humor genommen.

Wenig später in der Kirchengemeinde treffe ich dann endlich meine Gastfamilie, meine Gasteltern Danilo und Nancy und ihren 13-jährigen Sohn Marcel (die 18-jährige Tochter ist seit Anfang des Jahres in einem Orden in Chile). Es ist eine merkwürdige Situation zu wissen, dass wir ein Jahr zusammen leben werden und uns noch nicht kennen. Zum Glück ist vor allem Marcel sehr aufgeschlossen, zeigt mir seine 20 verschiedenen Zauberwürfel, will alles über Deutschland wissen (von der Kaffeemarke bis zu Feiertagen) und möchte Englisch lernen. Meine Gastfamilie ist katholisch und sehr aktiv in der Gemeinde, so werde ich gleich am nächsten Tag eingespannt, denn nach der Sonntagsmesse findet ein Gemeindefest statt, bei dem wir literweise selbstgemachten Fruchtsaft verkaufen.

Straßenkunst

El Alto
Alle Sucrenser, denen ich erzählt habe, dass ich nach El Alto gehe, waren entsetzt und meinten, El Alto sei vor allem kalt, hässlich und gefährlich. Ich habe El Alto vollkommen anders erlebt, vielleicht auch weil ich die Stadt mit einem Gefühl von „endlich ankommen“ verbinde. Natürlich sieht man viele unverputzte Fassaden und streunende Straßenhunde, der Verkehr ist enorm, und es gibt wenig Grün. Aber Schönheit findet man überall, so begeistert mich hier zum Beispiel die Straßenkunst. Viele Wände sind von Künstlern oder Schulen bemalt, oft mit Botschaften versehen. Auch gibt es einige Häuser in einem speziellen architektonischen Stil, der an die Aymara-Kunst angelehnt ist. Und dann natürlich der Teleférico, eine Seilbahn mit verschiedenen Linien, die die Anbindung an La Paz enorm erleichtert hat.

Gastfamilie
Mit meiner Gastfamilie nehme ich an vielen Aktivitäten in der Gemeinde teil. So gehen wir jeden Sonntag meistens in zwei Messen. Freitags abends ist außerdem die Misa Comunitaria, eine Messe in einem kleinen Rahmen. Gemeinsam sitzt man auf Polstern in einem kleinen Raum und statt einer Predigt findet ein Gespräch statt, das der Pfarrer als Inspiration für die kommende Sonntagsmesse nutzt. Außerdem gehe ich seit letzter Woche montags und Samstagsabends zu den Chorproben, bei denen wir mal mit 5, mal mit 25 Leuten Kirchenlieder singen und von zwei Gitarren und einem Schlagzeug begleitet werden.

Donnerstags ist im Moment außerdem ein kostenlosesAbendessen in der Parroquia (Gemeinde), bei dem in Tischgruppen verschiedene Fragen diskutiert werden. Ich habe mich zwar in den letzten Jahren nicht besonders mit der katholischen Kirche und dem Glauben identifizieren können, aber hier gefällt mir die Aktivität der Gemeinde. Auch die Messen sind lebhafter und haben mehr den Charakter einer Feier, es wird viel gesungen und die Predigt steht mehr in einer Beziehung zur Gemeinde, schließt zum Beispiel auch politische Themen ein. Außerdem ist die Parroquia für mich eine super Gelegenheit, neue Leute kennenzulernen und es gibt oft Aktionen, wie das Fest an meinem ersten Tag oder ein Wichtelspiel zum día de la amistad (Tag der Freundschaft). Dazu hat jeder einen Namen gezogen und ein Geschenk besorgt. Nach der Misa Comunitaria wird gemeinsam gegessen und zwei Freiwillige setzen sich in die Mitte der Tische, wo ihnen die Augen verbunden werden. Ihre “amigos secretos“ setzen sich gegenüber und sie müssen ertasten, um wen es sich handelt. Damit es nicht zu leicht ist, wird den “amigos“ etwa eine Afro-Perücke, Hasenohren oder Maske aufgesetzt. Ich habe meine Chefin vom Kürmi, gleichzeitig die Schwester meiner Gastmutter gezogen, die mich nicht erkennt, weil sie die Kordeln meines Pullovers für Zöpfe hält. Auch ich habe so meine Schwierigkeiten, weil ich keine Namen kenne. Mit einigen Tipps komme ich drauf und bekomme ein Federmäppchen und Schokolade geschenkt.

Im Moment sind wir außerdem sehr beschäftigt, weil diesen Sonntag 250 Kinder zur Kommunion gehen, und meine Gastmutter mit meiner Unterstützung die Kerzen und Dekorationen bastelt, dazu kommen die Chor- und Tanzproben, denn bei der Kommunion wird traditionell das Gloria getanzt. Da meine Gasteltern beide ehrenamtlich viel in der Parroquia arbeiten, gibt es relativ wenige Aktivitäten außerhalb der Gemeinde. Morgens, bevor mein Gastbruder zur Schule geht, frühstücken wir immer gemeinsam. Abends trinken wir zusammen Tee und unterhalten uns. Zum Familienleben gehört leider auch das Fernsehen, wobei der Fernseher oft einfach nebenbei läuft und man sich trotzdem unterhält. Vor allem mit meinem Gastbruder mache ich viel zusammen, er zeigt mir Akkorde auf der Gitarre, ich helfe ihm bei den Englischhausaufgaben oder wir spielen Schach.

Kürmi
Seit drei Wochen arbeite ich jetzt schon im Kürmi (Aymara = Regenbogen, gesprochen Kurmi) der Organisation FUNDASE (Fundación Sembrando Esperanza). Das Kürmi ist eine Art Hort, in den die Kinder vor oder nach der Schule kommen. Im Moment sind drei Erzieher, eine Sozialarbeiterin, die Chefin und eine Köchin für fast 80 Kinder verantwortlich. Morgens ab 08:45 kommen die ersten Kinder ins Kürmi, kämmen sich und waschen sich die Hände. Um 09:00 wird gemeinsam gefrühstückt, danach müssen sich die Kinder die Zähne putzen und die Arbeit in den drei Altersruppen/Salones beginnt. In der ersten Woche habe ich mit den älteren (10-13) gearbeitet, in der zweiten Woche mit den Mittleren (8-9), und in der dritten mit den kleinen (4-7). Ab nächster Woche werde ich vormittags mit den Kleinen und nachmittags mit den Großen und Mittleren arbeiten. In den Salones werden Hausaufgaben gemacht und anschließend gibt es verschiedene Aktivitäten. So darf einmal in derWoche jeder Salon in das Spielzimmer, manchmal wird gemalt, Fußball gespielt oder ein Film geguckt. Die älteren Kinder haben außerdem die Möglichkeit, Themen zu besprechen, die sie beschäftigen, zum Beispiel Liebe und verliebt sein. Ein Mal die Woche duschen sich zudem die Kinder, da einige zuhause kein warmes Wasser haben. Um zwölf Uhr wird zu Mittag gegessen, die Kinder putzen sich wieder die Zähne und gehen anschließend zur Schule. Ab eins kommen die Nachmittagskinder, essen ebenfalls zu Mittags und gehen in ihre Salones. Um 16:30 gibt es Tee mit Brot und die Kinder werden abgeholt (was allerdings meistens bis 17:45 dauert). Nachmittags arbeitet dieses Jahr auch eine zweite Freiwillige im Kürmi, die vormittags in einer Bäckerei beschäftigt ist. Zu meinen Aufgaben gehört es, das Essen zu servieren, Zahnpasta zu verteilen (wobei die Kinder, wie ein Vorfreiwilliger es ihnen beigebracht hat, alle „Zahnpasta bitte“ sagen), die Arbeit in den Salones zu begleiten und ab übernächster Woche auch Englischunterricht zu geben. Direkt neben dem Kürmi ist eine Schule, auf die viele Kinder vom Kürmi gehen. Als es ein Schulfest gibt, sind die Betreuer eingeladen und ich gehe mit Mauge, der Sozialarbeiterin hin. Wir werden in einen Klassenraum gebeten und bekommen Cola und ein Wurstbrötchen angeboten. Ich wundere mich ein bisschen,
dann bekommt jeder von uns ein Schild, eine Mappe und einen Stift. Es stellt sich heraus, dass ich aus Versehen in die Jury eines Theaterwettbewerbs geraten bin. Jede Klasse hat ein Theaterstück zu einemWert vorbereitet. Aufgeregt warten die Kinder an ihren Ständen und sagen ihren Text auf. Zur Bestechung wird uns von jeder Gruppe Essen und Trinken in die Hände gedrückt (Saft, Kuchen, Fleisch, Obst, Wackelpudding, Kekse,…), das wir unmöglich ablehnen können. Zum Día del Estudiante (Tag des Schülers) bereiten wir eine Choreographie vor und tanzen am teleférico auf „El Mismo Sol“.

Ende des Monats feiern wir immer die Geburtstage des Monats. Der Speiseraum wird dekoriert, es gibt ein Buffet mit selbstgebackenen Kuchen und es werden viele Spiele gespielt und getanzt. Den Kindern macht es großen Spaß, einen besonderen Tag zu feiern und sich ihr Essen selbst aussuchen zu können. Im Kürmi fühle ich mich sehr wohl und die Atmosphäre unter den Mitarbeitern ist sehr freundschaftlich, es wird viel gelacht und mit Vanessa und Mauge laufe ich immer zusammen nachhause, weil sie in der Nähe wohnen. Die Arbeit mit den Kindern macht mir sehr viel Spaß, auch wenn es natürlich manchmal anstrengend ist, vor allem, da ich das Spanisch der Kinder weniger gut verstehe. Viele sind sehr anhänglich, springen an mir hoch und umarmen mich, sobald ich ins Kürmi komme. Der familiäre Hintergrund der Kinder ist schwierig, viele erfahren zuhause Gewalt, und es fehlt zum Beispiel an sauberen Klamotten. Deshalb ist es schön, dass die Kinder im Kürmi Raum haben, um einfach Kinder sein zu können, zu spielen, zu lernen und zu besprechen, was ihnen wichtig ist.

Entrada
Am 14.09. nehme ich den Nachtbus von Sucre nach El Alto, um bei der Entrada am 15. mitzuspielen. Hermana Macarena, die in Sucre lebt und in El Alto zu Besuch war, begleitet mich. Zum Glück können wir so gemütlich im Auto am Terminal auf den Bus warten, der zweieinhalb Stunden später kommt. Samstags um 09:15, mit mehr als drei Stunden Verspätung, kommen wir in Sucre an, die Entrada hat bereits um 09:00 angefangen und mit den Q´arapanzas sind wir die erste Gruppe. Macarena und ich nehmen ein Taxi zum Treffpunkt, doch die Gruppe ist nicht mehr da. In einiger Entfernung sehen wir die Whip´alas und rennen hinter dem Zug her, mit Koffer und Rucksack. Schließlich sieht mich der kleine Sohn von Gabi, sagt Gabi Bescheid, die mich zum Auto von Roberto schickt, wo meine geliehene Tracht liegt. Eine der Helferinnen führt mich in einen Laden, wo ich mich umziehen kann, dann müssen wir noch Sandalen kaufen, was mit Schuhgröße 40 fast unmöglich ist… schließlich schaffe ich es noch in die Gruppe zu gelangen. Wir spielen zwar einige Lieder, die ich nicht kenne (-da bin ich aber nicht die einzige) und eine Tarca (andine Flöte, vergleichbar mit einer Blockflöte, aber mit anderem Tonsystem) habe ich nicht, aber es ist ein tolles Gefühl mitzuspielen und es ist ein ganz anderer Klang mit so vielen und draußen (Nur mein Lieblingslied habe ich leider schon verpasst). Zwischendurch werden uns immer Getränke angeboten und viel zu schnell kommen wir schon im Centro an, wo wir die Entrada ausklingen lassen. Später schauen wir uns noch die anderen Gruppen an, die teilweise bis spät in der Nacht tanzen. Es sind zwar erst sechs Wochen vergangen, ich habe aber schon das Gefühl mich eingelebt zu haben. Natürlich ist die Sprachbarriere immer noch da, aber irgendwie kann man sich immer verständigen und es macht mir Spaß, Spanisch zu lernen. Jedes zweite Wort wird verniedlicht (-nicht nur Substantive, auch Zeitangaben, Adjektive, und Personenbezeichnungen) und alles klingt gleich viel freundlicher. Auch habe ich großes Glück, bei so vielen gemeinsamen Aktivitäten dabei sein zu können. Das Teilen und sich Einladen ist hier fast selbstverständlich und Verbindlichkeit heißt weniger genau zur vereinbarten Zeit zu kommen, als keinem abzusagen. Ich hoffe, über alle Aktivitäten, an denen ich teilhaben kann, neue Leute kennenzulernen. Zudem finde ich vielleicht noch ein Cello und kann hoffentlich das Klavier der Gemeinde spielen und einer Folkloretanzgruppe beitreten.

Viele Grüße aus Bolivien und vielen Dank für Eure Unterstützung!
Mira